St.Marien Wallfahrtskirche Ziegelheim

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Christusfigur

Historisches

Die Geschichte des alten Kruzifix - 111jährige Odysee nimmt ihr glückliches Ende

(Bilddokumente finden Sie im unteren Bereich dieses Berichtes)



Am 18.Juni 2015 kontaktierte mich die Waldenburger Museumsleiterin Frau Ludwig mit Bitte um Recherche, ob Eigentum der Kirche und Rücknahme-Interesse an mehreren Objekten besteht, die ursprünglich aus der Ziegelheimer Kirche stammten. Das imposanteste Objekt war zweifellos ein riesengroßes Kruzifix - etwas, was ich vorher noch nie in natura gesehen hatte.  Es folgten noch mehrere Briefwechsel, Vorortbesuche in Waldenburg durch den Kirchenvorstand und mich standen an und ich durchstöberte mein Archiv nach Spuren. Und ich fand sie. Darüber möchte ich nun berichten:

Im Museum Waldenburg war das Kruzifix auf einer beigefügten kleinen Tafel wie folgt beschrieben - "Kruzifix; Lindenholz, um 1450; Nägel und Kreuz sind Ergänzungen aus dem Jahre 1934. Das Kreuz wurde aus einem Balken der ehemaligen Muldenbrücke in Remse hergestellt."
Dazu läßt sich sagen, daß 1450 nach heutiger Expertenmeinung zu früh angesetzt ist. Die Herstellungsphase ist eher um 1500 anzunehmen. Dies deckt sich wieder mit der Entstehung des ersten Ziegelheimer geschnitzten Flügelaltars und der Entstehung der steinernen Kirche 1507-18. Ausführliches finden Sie dazu unter der Altar-Beschreibung auf dieser Internetseite (Zusammenhang Schlunziger und Ziegelheimer Kirche). Ein weiterer wichtiger Faktor spricht für eine spätere Datierung- das Aussehen des Christus-Körpers: Bereits in der Übergangsphase von der Romanik zur Gotik (Die Ziegelheimer Kirche ist ein gotischer Bau) wurden Christusfiguren nicht mehr als triumphierend, sondern leidend dargestellt. Ein weiteres Indiz dazu ist die fehlende Krone, es wurden nun Dornenkronen benutzt. Ein drittes, am deutlichsten wahrzunehmendes Merkmal sind die Füße. Diese wurden in der Romanik noch nebeneinanderstehend dargestellt, in der Gotik dagegen übereinanderstehend und nur mit einem Nagel durchbohrt.

Die großen Abmessungen des Kruzifix (Höhe = 2 Meter/ Höhe mit Kreuz = 3 Meter/Breite des Kreuzes = 2 Meter) veranlassten zu Überlegungen, wo dieser "Riese" einst in der Kirche plaziert gewesen sein könnte. Die wahrscheinlichste Lösung ist die des Triumphkreuzes. Eine wikipedia-Definition lautet dazu: "Das Triumphkreuz ist ein monumentales Kruzifix, das zur Innenausstattung mittelalterlicher Kirchen gehört. Es hängt meist zwischen Chor und Kirchenschiff im Triumphbogen, dem Eingangsbogen des Chors oder steht an gleicher Stelle auf einem Querbalken. Das Triumphkreuz verweist auf den Triumph des auferstandenen Christus über den Tod." Diese Definition kann man bestätigen, wenn man sich das Kircheninnere vieler aus der Zeit erhaltener und meist nicht reformierter Kirchen anschaut. Wenn man die Phantasie ein wenig spielen läßt, kann man sich für Ziegelheim folgendes vorstellen: Der ursprüngliche Haupteingang in die Kirche war erwiesener maßen der Westeingang durch den Turm hindurch, welcher 1903/04 zugemauert wurde und heute mit einem Fenster versehen ist (davor steht heut das Kruzifix). Betrat man nun durch den Turm das Schiff, wurde man geblendet von dem großen, leidenden Christus. Man bestaunte ihn, noch bevor man weiter in den Chor und zum Altar hinblicken konnte. Im Triumphbogen, an dessen südlicher Seite seit 1657 die Kanzel eingearbeitet ist, gab es zwei hervorstehende Mauerabsätze (wurden 1903/04 entfernt), denen ein Querbalken aufgelegt gewesen sein könnte. Dieser Querbalken trug nach der alten Bauweise wohl das darauf aufgestellte Kreuz mit Korpus und eventuell beigestellte Heiligenfiguren. 1633 ist das gesamte Holzwerk bekanntlich vernichtet und verbrannt worden. Irgendwie konnte man aber den Christus-Korpus retten. Soweit die Ursprungsidee des Autors, die nicht bewiesen ist und lediglich auf Indizien beruht.

Nun zu den weiteren Fakten:

  • Ein Dresdner Gutachten vom 17.11.1896 berichtet : "Auf dem Dachboden der Sakristei befindet sich ein wenig wertvoller, fast lebensgroßer Christuskörper."

  • In den Umbaubauplänen von 1903/04 taucht unter Punkt 38 folgendes auf : "Für Abspitzen der vorstehenden Mauerbuckel je wie erforderlich um einen lotrechten Putz neu herzustellen zu können inklusive der Werkzeuge, Geräte und Zeugschärfe. (diese Flächen werden besonders aufgemessen und berechnet.)" - Handelt es sich hier eventuell um die alten Aufnahmepunkte für den Querbalken des Triumphkreuzes ?

  • Die Sächsische Kirchengallerie berichtet 1909, das ein überlebensgroßes Kruzifixus ohne Kreuz, das auf dem freien, nun abgeschlossenen Raume über der Sakristei gelegen hatte und in der Kirche keinen geeigneten Platz finden konnte, nun (im Jahre 1904 lt.Aktenlage) in das Altertumsmuseum zu Waldenburg gegeben wurde, aber im Eigentum der Kirche verblieben ist. Die Ziegelheimer brachten das Objekt 1904 ohne Erlaubnis ins Museum. 6 Jahre später, 1910, scheint Prof.Dr.Berling in Waldenburg im Museum gewesen zu sein und hat auf dem dortigen Boden das Kruzifix entdeckt.

  • 1910 befand sich die Altertümersammlung noch im Rischterschen Haus am Topfmarkt (1901-1914) in Waldenburg. Die dortigen Räume waren zu niedrig, um das Kruzifix aufstellen oder aufhängen zu können.

  • Die Königliche Kircheninspektion in Glauchau schreibt am 25.8.1911 an den Kirchenvorstand zu Ziegelheim: "Dem Kirchenvorstand wird auf das Schreiben vom 15.September vorigen Jahres eröffnet, daß das Evangelisch-Lutherische  Landeskonsistorium zu der leihweisen Überlassung des alten Kruzifixes aus der dortigen Kirche an das Waldenburger Museum Genehmigung erteilt hat."

  • Teilnehmer an der „Waldenburger Tafelrunde“, die 1921 vom Fürsten Günther von Schönburg-Waldenburg ins Leben gerufen wurde, war u.a. auch Dr. Karl Berling, der Direktor des Dresdener Kunstgewerbemuseums. Fürst Günther lud bis September 1945 jährlich namhafte Intellektuelle für zwei Wochen nach Waldenburg ein. Dabei fanden allabendlich Konzerte statt.


Abschließend wird hier der Briefwechsel zwischen dem Kruzifix-Retter Prof.Dr.Karl Berling, Direktor des Dresdener Kunstgewerbemuseums und dem Ziegelheimer Kirchevorstand aus den Jahren 1910 und 1911 wiedergegeben:

Dresden, 27.Mai 1910
An die Königliche Kommission zur Erhaltung der Kulturdenkmäler.
Auf dem Boden (des Museums – d.R.) befand sich ein großes Kruzifix, das bis vor kurzem auf dem Boden der Kirche Ziegelheim gelegen hatte. Um es in dem Museumsraume aufzustellen, war es viel zu groß. Damit man aber der Museumsleitung nicht den Vorwurf mache, sie hätte das Kruzifix nur von einen Boden auf den anderen gebracht, beabsichtigt man, es an die Decke anzuschrauben, dabei aber das Gesicht, das wegen seines starken Naturalismus einige ängstliche Gemüter erschrecken könne, einzuhüllen. Ich habe versucht, Herrn Käseberg, diesen fürchterlichen Gedanken auszureden. Da das Konsistorium vor Genehmigung einer leihweisen oder definitiven Abgabe von kirchlichen Altertümern an die Museen unseren Rat einzuholen pflegt, mir aber nichts davon bekannt ist, daß uns vor Kurzem das Kruzifix von Ziegelheim beschäftigt hat, nehme ich an, daß die dortige Kirchgemeinde es nicht für nötig befunden hat, die Erlaubnis zur leihweisen Abgabe einzuholen. Ich kenne nun zwar die vom Konsistorium erlassene Verordnung hierüber nicht so genau. Sollte die Kirchgemeinde in solchen Fällen verpflichtet sein, sich die Genehmigung einzuholen, so gebe ich der Kommission anheim, dem Konsistorium von dem Unterlassen Mitteilung zu machen. Denn es kann doch recht bedeutungsvoll werden, wenn die Kirchenvorstände entgegen ihrer Vorschrift hierin selbständig handeln. Uns aber dürfte dieser Fall dazu führen, daß wir, wenn unser Rat bei solchen Abgaben erforderlich wird, uns erst vergewissern, daß das Museum auch die Garantie für eine zweckentsprechende Aufstellung gibt.
gez. Dr. Berling


Eingegangen am 7.8.1910
Glauchau, den 4.August 1910
An den Kirchen-Vorstand Ziegelheim.  
Dem Kirchen-Vorstand wird ein Bericht von Prof.Dr. Berling in Dresden vom 27.Mai diesen Jahres zufolge Verordnung des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums mit dem Veranlassen abschriftlich zugefertigt, darüber Anzeige zu erlassen, ob bezüglich des darin erwähnten Kruzifixes, dessen leihweise Abgabe an das Museum in Waldenburg beabsichtigt sein soll, den Vorschriften der Verordnungen vom 6.Februar 1878 (V.O.Bl.1878 S.26) und vom 18.April1879 (S.40) allenthalben nachgegangen worden ist.
Nach Befinden sind Vorschläge zu machen, wo in der Kirche das Kruzifix, das gegebenfalls instand zu setzen wäre, angebracht und so der Kirchgemeinde erhalten werden kann.
Die Königliche Kirchen-Inspektion für Ziegelheim.


Ziegelheim, den 15.September 1910
An die Königliche Kirchen-Inspektion für Ziegelheim.
Die unter dem 4.vorigen Monats von der Königlichen Kirchen-Inspektion ergangene Anfrage wegen der bei der leihweisen Abgabe der großen Christusstatue seiner Zeit zu befolgenden gesetzlichen Bestimmungen einschließlich der Abschriftder Empfehlung des Prof.Dr.Berling an die Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler hat den Kirchen-Vorstand in seiner Sitzung am 12. August vorgelegen. Siehe den Beschluß Part Acta Loc VIII Nr.2 und Loc V folium 109.


Eingegangen 5.7.1911
Dresden, 3.Juli 1911
Königliches Kunstgewerbemuseum
Dem Herrn Pfarrer von Ziegelheim.
Erlaube ich mir zur Kenntnis zu bringen, daß ich beabsichtige, im Auftrage der Königlichen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler nächsten Freitag gegen 5 Uhr nachmittags zur Besichtigung der Kirche nach dort zu kommen.
Hochachtungsvoll
Prof.Dr. Berling


Das Kruzifix wurde am 25.09.2015 im Waldenburger Museum abgebaut und am 2.10.2015 in der Ziegelheimer Kirche aufgebaut.

(Stand: Dezember 2015)



Die beiden oberen Bilder zeigen das Kruzifix noch als Ausstellungstück im Waldenburger Museum.

Das Bild oben zeigt in einem Archivfoto des Waldenburger Museums aus den 1930`er Jahren den früheren Aufhängeort im Museum.

Das Bild oben zeigt den aktuellen Standort in der neuen, alten Heimat - der Ziegelheimer Kirche.


Unten werden Fundstücke aus dem Internet gezeigt, welche vermitteln sollen, wie das Kruzifix einstmals verwendet wurde.

 
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